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Muldenspiegel Nr. 24 (8. Jahrgang)
30. November 1998

"Sächsiche Wanderlust" anno 1840 (1)

Von Wurzen flußaufwärts nach Döben

Ein Lausitzer Pfarrer bereiste vor über 150 Jahren das Mulden- und Zschopautal, um hauptsächlich „die Naturschönheiten des lieben Sachsenlandes kennenzulernen". Aus Briefen an seine Frau entnehmen wir einige warmherzig geschriebene Passagen über unsere Gegend.
Der Postwagen brachte ihn nach Würzen. Von hier aus setzte er seine Reise „als ein aechter Wanderer" zu Fuß fort. In Würzen machte die alte herrliche Domkirche mit ihren bischöflichen Grabmälern einen so wohltuenden Eindruck auf ihn, daß er sich kaum wieder von ihr trennen konnte.
„Erst als ich die Stadt verlassen hatte, fiel mir ein, daß ich mir im Dome hätte sollen den Ort zeigen lassen, auf welchem einst der Kurfürst Johann Friedrich und sein Vetter Moritz gestanden, als im Jahre 1542 daselbst das Osterfladendekret (Luthers Aufforderung zur Einstellung der Feindseligkeiten -dt-) verlesen wurde, welches die wunderbare Wirkung hatte, daß die beiden Fürsten und ihre Soldaten, die eben trotz der stillen Karwoche gegenseitig auf sich losschlagen wollten, im friedlichen Einverständnisse die Osterfladen miteinander verzehrten. Auch hätte mir vielleicht jemand das Haus zeigen können, wo am 30. Januar 1719 jener Magnus Gottfried Lichtwer geboren wurde, dessen äsopische Fabeln zu den lieblichsten Freuden meiner Kindheit gehörten. Ja, selbst das alte Schloß, in welchem einst die mächtigen Bischöfe von Meißen kirchlichen Hof hielten, und das Kapitelhaus der protestantischen Domherrn habe ich zu besehen vergessen - desto mehr will ich Dir von der herrlichen Natur und den Menschen erzählen..."
Das tat er denn auch ausführlich und vergaß dabei auch nie seines Amtes. „Nordwärts der Stadt liegt ein kleines Gebirge, welchem sie, von einem mitten darin liegenden Dorfe, den Namen Hohburger Schweiz gegeben haben. Mag das nun aus vaterländischem Stolz oder aus gutmütiger Zufriedenheit geschehen sein, so ist es immer ein erfreulicher Beweis dafür,. die Menschen aus dem Stück Land, das ihnen Gott zum Wohnplatz  angewiesen hat, gern das Beste machen und die Herrlichkeit und wunderbare Macht des Weltenschöpfers auch im Kleinen anerkennen und dankbar verehren."
Bei dem ansehnlichen Dorfe Nitzschka ließ er sich auf das jenseitige Ufer übersetzen. Vorher gedachte er noch des seinerzeit vielgelesenen Siegfried August Mahlmanns, der - geflüchtetaus dem geräuschvollen Treiben der Großstadt - hier, im ihm gehörigen Schlosse, wohl seine besten Lieder gesungen habe.
Mit dem Kahn muldeaufwärts fahrend, gelangte er „zu einer großartigen Lindenallee, die zum Schlosse Trebsen führt. Woher mag es wohl kommen, daß man so gern unter schattigen Bäumen dahinwandert?" Er preist besonders „die schöne Perspektive auf den Schloßgarten - zur Linken die glänzende Mulde, zur Rechten maigrüne blumenreiche Wiesen, in der Ferne vom Saume eines blau-grünen Waldes begrenzt - dies alles erklärt mir das süße, heimliche Gefühl meines Alleespazierganges, auch wenn nicht aller Orten, wie hier, das marmorne Standbild einer trauernden Muse, das schöne Haupt in die rechte Hand gestützt, den Vorübergehenden halb schmerzlich zuruft: 'Wo bleibst du, Tröster meiner Einsamkeit?'"
Das Schloß Trebsen, weniger schön als groß, und ein seltsames Gemisch von alter und neuer Bauart, nennt über seinem Haupteingange ein Jahr, in welchem Luther von der Wartburg - eine Burg, wo ihm das längere Warten ziemlich sauer wurde -nach Wittenberg stürmte, um der Refonnationsstürmerei zu wehren - das Jahr 1522.
„Unterhalb des Städtchens ließ ich mich nun wieder übersetzen, um am rechten Muldenufer nach dem Städtchen Ner-chau zu wandern. Von hier aus wird die Landschaft schön und selbst in ihrer Einfachheit reizend. Links ziemlich hohe Berghöhen, dicht bewachsen; dazwischen einzelne Felsvorsprünge, die auf einigen Stellen bis in die Mulde hineinreichen, und über die ich nicht ganz ohne Gefahr hinwegklettern mußte, da der eigentliche Weg oben hin durch den Wald geht. Mit jedem Schritte wird die Gegend romantischer; zuletzt wanderte ich, wie in einem großartigen Parke. Rechts die klare sprudelnde Mulde, links der herrlichste Eichen- und Buchenwald, mit einzelnen eingestreuten Felsblöcken - über mir ein dichtes, schattiges Dach von frischem Laube, und jetzt - als ich aus dem Gebüsche heraustrete - vor mir eine Mühle, tief in der Schlucht, fast geisterhaft lärmend und pochend! - Ach wie lieblich, wie entzückend! Die Mulde, rings, so scheint es, von Bergen eingeschlossen, liegt wie ein kleiner, freundlicher See vor mir, und dort oben, aufwaldiger Felsenhöhe schaut das alte Schloß Döben wie eine verzauberte Ritterburg herab, und besieht sich - noch eitel, trotz seines Alters - selbstgefällig im Wasserspiegel..."
Im Döbener Pfarrhaus fand unser Wanderer freundliche Aufnahme. Er „erfreute sich an den entzückenden Aussichten in das liebliche Muldental. Besonders ist von der Gartenlaube aus die Ansicht des über der Mulde drüben liegenden Dorfes Hohnstädt mit seinen malerischen Umgebungen äußerst lieblich und fesselnd. Auch die helle freundliche Kirche, welche auf des Berges Scheitel wie eine Burg Zion daliegt, besah ich mir. Der Altar hat ein schönes Schnitzwerk; es stellt die betende Familie des Ritters von Schönfeld dar, dem die Gattin, als sie, in frischer Jugend plötzlich verstorben, auf der Toden-bahre lag, und eben begraben werden sollte, mit neuem Leben wieder auferstand, und ihm in der Folge noch. Mutter von neun Kindern ward, welche alle neben den Aeltern knieen und bettend die Hände falten. In einer Seitenwand des Altarplatzes findet sich das steinerne Bild eines anderen betenden Ritters. Man sagt von ihm, er sei infolge eines unmäßigen Trunkes verstorben. Ich wüßte nun eigentlich nicht, wie dieser zur Ehre kommt, mit seinem Bild das Gotteshaus zu schmücken..."
„Das Schloß Döben ist eines der ältesten in Sachsen und dadurch merkwürdig geworden, daß einst, im Jahre 1189, der meißnerische  Markgraf Albrecht der Stolze, den sie auch (ich glaube, mit Unrecht!) den Unartigen nennen, seinen Vater Otto, der Reiche genannt, hier eine Zeitlang gefangen hielt, weil dieser sein Erbe mehr zu Gunsten seines jüngeren Bruders Dietrich des Bedrängten verteilt hatte. Eigentlich war die Markgräfin an dem ganzen Unheil schuld. Sie hatte den alten, schwachen Va.ter so lange beredet, bis er dem jüngeren Sohne die Rechte der Erstgeburt zuteilte. Da wußte sich Albrecht nicht anders zu helfen, als den Vater so lange gefangenzuhalten, bis er ihn m seine Rechte einsetzte. Die Frau Markgräfin und Herr Dietrich aber riefen den Kaiser Heinrich VI. zu Hilfe; der brachte den Familienstreit dadurch ins Gleiche, daß er Albrecht zwang, den Vater freizugeben und sich nebenbei das verlangte Versöhneramt etwas teuer bezahlen ließ; nämlich er nahm nun selbst bis zu seinem Tode das Meißner Land in Besitz. Ist das nicht abermals die alte Lehre, daß, wo Zwei sich streiten, der Dritte am besten dabei wegkommt?"                 -dt-