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"Sächsiche Wanderlust" anno 1840 (1)
Von Wurzen flußaufwärts nach Döben
Ein Lausitzer Pfarrer bereiste vor über 150 Jahren das Mulden-
und Zschopautal, um hauptsächlich „die Naturschönheiten des lieben
Sachsenlandes kennenzulernen". Aus Briefen an seine Frau entnehmen wir
einige warmherzig geschriebene Passagen über unsere Gegend.
Der Postwagen brachte ihn nach Würzen. Von hier aus setzte
er seine Reise „als ein aechter Wanderer" zu Fuß fort. In Würzen
machte die alte herrliche Domkirche mit ihren bischöflichen Grabmälern
einen so wohltuenden Eindruck auf ihn, daß er sich kaum wieder von
ihr trennen konnte.
„Erst als ich die Stadt verlassen hatte, fiel mir ein, daß
ich mir im Dome hätte sollen den Ort zeigen lassen, auf welchem einst
der Kurfürst Johann Friedrich und sein Vetter Moritz gestanden, als
im Jahre 1542 daselbst das Osterfladendekret (Luthers Aufforderung zur
Einstellung der Feindseligkeiten -dt-) verlesen wurde, welches die wunderbare
Wirkung hatte, daß die beiden Fürsten und ihre Soldaten, die
eben trotz der stillen Karwoche gegenseitig auf sich losschlagen wollten,
im friedlichen Einverständnisse die Osterfladen miteinander verzehrten.
Auch hätte mir vielleicht jemand das Haus zeigen können, wo am
30. Januar 1719 jener Magnus Gottfried Lichtwer geboren wurde, dessen äsopische
Fabeln zu den lieblichsten Freuden meiner Kindheit gehörten. Ja, selbst
das alte Schloß, in welchem einst die mächtigen Bischöfe
von Meißen kirchlichen Hof hielten, und das Kapitelhaus der protestantischen
Domherrn habe ich zu besehen vergessen - desto mehr will ich Dir von der
herrlichen Natur und den Menschen erzählen..."
Das tat er denn auch ausführlich und vergaß dabei auch
nie seines Amtes. „Nordwärts der Stadt liegt ein kleines Gebirge,
welchem sie, von einem mitten darin liegenden Dorfe, den Namen Hohburger
Schweiz gegeben haben. Mag das nun aus vaterländischem Stolz oder
aus gutmütiger Zufriedenheit geschehen sein, so ist es immer ein erfreulicher
Beweis dafür,. die Menschen aus dem Stück Land, das ihnen Gott
zum Wohnplatz angewiesen hat, gern das Beste machen und die Herrlichkeit
und wunderbare Macht des Weltenschöpfers auch im Kleinen anerkennen
und dankbar verehren."
Bei dem ansehnlichen Dorfe Nitzschka ließ er
sich auf das jenseitige Ufer übersetzen. Vorher gedachte er noch des
seinerzeit vielgelesenen Siegfried August Mahlmanns, der - geflüchtetaus
dem geräuschvollen Treiben der Großstadt - hier, im ihm gehörigen
Schlosse, wohl seine besten Lieder gesungen habe.
Mit dem Kahn muldeaufwärts fahrend, gelangte
er „zu einer großartigen Lindenallee, die zum Schlosse Trebsen führt.
Woher mag es wohl kommen, daß man so gern unter schattigen Bäumen
dahinwandert?" Er preist besonders „die schöne Perspektive auf den
Schloßgarten - zur Linken die glänzende Mulde, zur Rechten maigrüne
blumenreiche Wiesen, in der Ferne vom Saume eines blau-grünen Waldes
begrenzt - dies alles erklärt mir das süße, heimliche Gefühl
meines Alleespazierganges, auch wenn nicht aller Orten, wie hier, das marmorne
Standbild einer trauernden Muse, das schöne Haupt in die rechte Hand
gestützt, den Vorübergehenden halb schmerzlich zuruft: 'Wo bleibst
du, Tröster meiner Einsamkeit?'"
Das Schloß Trebsen, weniger schön als groß, und
ein seltsames Gemisch von alter und neuer Bauart, nennt über seinem
Haupteingange ein Jahr, in welchem Luther von der Wartburg - eine Burg,
wo ihm das längere Warten ziemlich sauer wurde -nach Wittenberg stürmte,
um der Refonnationsstürmerei zu wehren - das Jahr 1522.
„Unterhalb des Städtchens ließ ich mich nun wieder übersetzen,
um am rechten Muldenufer nach dem Städtchen Ner-chau zu wandern. Von
hier aus wird die Landschaft schön und selbst in ihrer Einfachheit
reizend. Links ziemlich hohe Berghöhen, dicht bewachsen; dazwischen
einzelne Felsvorsprünge, die auf einigen Stellen bis in die Mulde
hineinreichen, und über die ich nicht ganz ohne Gefahr hinwegklettern
mußte, da der eigentliche Weg oben hin durch den Wald geht. Mit jedem
Schritte wird die Gegend romantischer; zuletzt wanderte ich, wie in einem
großartigen Parke. Rechts die klare sprudelnde Mulde, links der herrlichste
Eichen- und Buchenwald, mit einzelnen eingestreuten Felsblöcken -
über mir ein dichtes, schattiges Dach von frischem Laube, und jetzt
- als ich aus dem Gebüsche heraustrete - vor mir eine Mühle,
tief in der Schlucht, fast geisterhaft lärmend und pochend! - Ach
wie lieblich, wie entzückend! Die Mulde, rings, so scheint es, von
Bergen eingeschlossen, liegt wie ein kleiner, freundlicher See vor mir,
und dort oben, aufwaldiger Felsenhöhe schaut das alte Schloß
Döben wie eine verzauberte Ritterburg herab, und besieht sich - noch
eitel, trotz seines Alters - selbstgefällig im Wasserspiegel..."
Im Döbener Pfarrhaus fand unser Wanderer freundliche Aufnahme.
Er „erfreute sich an den entzückenden Aussichten in das liebliche
Muldental. Besonders ist von der Gartenlaube aus die Ansicht des über
der Mulde drüben liegenden Dorfes Hohnstädt mit seinen malerischen
Umgebungen äußerst lieblich und fesselnd. Auch die helle freundliche
Kirche, welche auf des Berges Scheitel wie eine Burg Zion daliegt, besah
ich mir. Der Altar hat ein schönes Schnitzwerk; es stellt die betende
Familie des Ritters von Schönfeld dar, dem die Gattin, als sie, in
frischer Jugend plötzlich verstorben, auf der Toden-bahre lag, und
eben begraben werden sollte, mit neuem Leben wieder auferstand, und ihm
in der Folge noch. Mutter von neun Kindern ward, welche alle neben den
Aeltern knieen und bettend die Hände falten. In einer Seitenwand des
Altarplatzes findet sich das steinerne Bild eines anderen betenden Ritters.
Man sagt von ihm, er sei infolge eines unmäßigen Trunkes verstorben.
Ich wüßte nun eigentlich nicht, wie dieser zur Ehre kommt, mit
seinem Bild das Gotteshaus zu schmücken..."
„Das Schloß Döben ist eines der ältesten in Sachsen
und dadurch merkwürdig geworden, daß einst, im Jahre 1189, der
meißnerische Markgraf Albrecht der Stolze, den sie auch (ich
glaube, mit Unrecht!) den Unartigen nennen, seinen Vater Otto, der Reiche
genannt, hier eine Zeitlang gefangen hielt, weil dieser sein Erbe mehr
zu Gunsten seines jüngeren Bruders Dietrich des Bedrängten verteilt
hatte. Eigentlich war die Markgräfin an dem ganzen Unheil schuld.
Sie hatte den alten, schwachen Va.ter so lange beredet, bis er dem jüngeren
Sohne die Rechte der Erstgeburt zuteilte. Da wußte sich Albrecht
nicht anders zu helfen, als den Vater so lange gefangenzuhalten, bis er
ihn m seine Rechte einsetzte. Die Frau Markgräfin und Herr Dietrich
aber riefen den Kaiser Heinrich VI. zu Hilfe; der brachte den Familienstreit
dadurch ins Gleiche, daß er Albrecht zwang, den Vater freizugeben
und sich nebenbei das verlangte Versöhneramt etwas teuer bezahlen
ließ; nämlich er nahm nun selbst bis zu seinem Tode das Meißner
Land in Besitz. Ist das nicht abermals die alte Lehre, daß, wo Zwei
sich streiten, der Dritte am besten dabei wegkommt?"
-dt-